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22. März 2023 3 22 /03 /März /2023 18:15
Geschafft.... 1026,19 Kilometer legte ich in 10 Tagen beim Italian Ultramarathon Festival zurück und erreichte damit den 5. Gesamtrang sowie den 2. Rang in meiner Altersklasse.

 

ITALIAN ULTRAMARATHON FESTIVAL - 10 DAYS RUN
ANREISE:
Wegen des zuletzt oft unzuverlässigen Gepäcktransportes der Fluglinien, aber auch aus ökologischen Gründen, beschlossen mein Freund und Laufkamerad Andreas Michalitz und ich die 1500 Kilometer nach Policoro mit der Bahn zu reisen. Leider sollte mir diese Fahrt, in den Süden Italiens, nicht in bester Erinnerung bleiben. Denn unser unbeschwertes Vorankommen nahm bereits in Venezia Mestre eine unerwartete Wende. Falsche Angaben am Infoschirm des Bahnhofes sorgten für Konfusion und führten schließlich dazu, dass wir unsere Anschlussfahrt nach Rom verpassten. Zum Überfluss vergaß ich in der Hektik auch noch meine geliebte Nikon D600 Fotokamera auf dem Bahnsteig. Die hatte allerdings schnell einen neuen Besitzer gefunden, denn zu Gesicht bekam ich sie, trotz Suche, nicht wieder. Frust!
22:45 Uhr - Um die Stunden bis zum Morgen nicht am luftigen Bahnhof, in der Kälte, zu verbringen flüchteten wir in ein nahes Hotel. Warmes Zimmer, weiches Bett. Trotzdem lag ich, emotional aufgewühlt, noch lange wach. Spät, eigentlich erst am frühen Morgen versank ich in das Land der Träume, doch da war die Nacht für uns schon bald zu Ende.
04:30 Uhr - Auf in den neuen Tag. Rom, Bari, Policoro - Bahn, Bus, Auto. Müde, verzögert, aber doch noch rechtzeitig erreichten wir 33 Stunden nach unserer Abreise von zu Hause Policoro Village.
POLICORO VILLAGE
Im Ferienpark Policoro Village, am "Stiefelabsatz" in der süditalienischen Provinz Basilikata, herrschte noch Ruhe als wir ankamen. Die ionische Küste, im Golf von Torent, war in der Vorsaison vom Trubel des Tourismus noch verschont geblieben. Pasquale Brandi, der Organisator des Italian Ultramarathon Festivals führte uns unmittelbar nach unserer Ankunft zur Unterkunft. Einer urigen, aber voll ausgestatteten Holzhütte unter hochgewachsenen Pinien. Heimelig, klein und trotzdem mit ausreichend Platz für Andreas und mich.
DER 10 TAGESLAUF
Mittwoch 08.03.2023     Start 15:00 Uhr
Viel Zeit um uns zu akklimatisieren blieb nicht. Einige Stunden Schlaf und etwas Vorbereitung reichte aber um mit Vorfreude am Start zu stehen. Mit Andreas und mir warteten 10 durchwegs erfahrene Ultraläufer aus 6 Nationen auf den Startschuss. Bei Mehrtagesläufen ist die Zahl der Teilnehmer stets gering. Es gibt eben nur wenige Menschen, welche sich solch extremen Herausforderungen stellen können.
Pünktlich um 15:00 Uhr starteten wir in das Rennen. Der nach internationalen Richtlinien vermessene Rundkurs, auf dem wir uns bewegten, ergab eine Länge von 1082 Meter. Der Aktionsradius für die folgenden 10 Tage war also klein. Trotzdem mangelte es nicht an Eindrücken. Die eine Hälfte unseres Rundkurses, außerhalb des Feriencamps, verlief entlang eines mit Weidezaun begrenzten Grundstückes. Dort zogen Pferde durch das zum Teil  bewaldete Gelände. Zur späteren Stunde querten Katzen, Füchse und Wildschweine im hellen Mondlicht unseren Weg. Entlang der anschließenden Parkpromenade sorgten die Rufe der Seevögel und das Rauschen des Meeres für Aufmunterung. Die zweite Hälfte des Kurses führte durch das Camp. Zur Self-Service-Verpflegungsstelle mit der allseits beliebten Kaffeemaschine (letztere sollte während des Ultralauf Festivals noch weniger zur Ruhe kommen als wir Läufer). Danach vorbei am Schwimmbecken, das dato aber nur der Optik diente. Den Hauptweg zwischen Bungalows und Holzhütten ging es zurück zum Start/Zielbereich.
Mag dies hier von jenen Kollegen, welche sich vorzugsweise dem Traillauf verschrieben haben auch mit einem Hamsterrad verglichen werden, mir gefiel es. Ist natürlich schon Anschauungs- und Auslegungssache, man könnte unseren Rundkurs in Policoro Village ja auch mit der 400 Meter Tartanbahn eines Leichtathletikstadions vergleichen. Tja, und dabei würde dann die Runde in unserem schönen Feriendorf wie ein Erlebnisparcours erscheinen.
Die ersten Stunden nach dem Start waren, wie so oft bei einem Wettkampf mit langer Vorbereitung, der pure Laufgenuss. Der Körper noch frisch, der Geist voll Tatendrang. Kein Gedanke, dass sich daran etwas ändern könnte. Tat es aber doch. Am zweiten Tag brachen die Auswirkungen der zum Teil frustrierenden Ereignisse unserer Anreise auf uns herein, rissen Andreas und  mich in eine mentale Krise. Jedes positiven Gedankens beraubt fragten wir uns ob in dieser Verfassung weiterzumachen sinnvoll sei. Sogar von einer vorzeitigen Heimreise wurde gesprochen. Aufgeben als Option? Keine zufriedenstellende Lösung! Also, was tun? Laufen, was sonst - weiterlaufen! Laufen war für mich in schweren Zeiten immer ein gutes Hilfsmittel zur Wiederherstellung meines Seelenheils. So auch diesmal, bald herrschte wieder angenehme Ruhe in mir.
Einzig die lauten Düsenjets der italienischen Luftwaffe, welche mehrmals täglich über uns hinweg flogen, störten die Läuferidylle. Kein erfreulicher Anblick, das am Himmel düsende Kriegsgerät, wo doch gerade Krieg in der Ukraine herrschte. Hatte sich der Krieg schon ausgebreitet? Ich wusste es nicht, lebte ohne über das aktuelle Weltgeschehen informiert zu sein in unserer Läuferblase. Und es war gut so.
Am vierten Tag endete der Spuk, die Luftwaffe verschwand. Dunkle Wolken brachten Regen und Wind. Es wurde unangenehm. Bald bildeten sich auf unserer Strecke flächendeckend Regenlacken. An manchen Stellen gab es keine Möglichkeit die kleinen Seen zu umlaufen, da musste man eben durch. Durchnässung also nicht nur von oben, sondern auch von unten. Regenschutz, Schuh- und Kleiderwechsel gaben nur kurzfristig das Gefühl einigermaßen trocken zu sein. Egal, Füße eingecremt um gegen Blasenbildung anzukämpfen und weiter ging es.
Nachdem wir 96 Stunden Kilometer gesammelt hatten, traf Gesellschaft ein. Festival-Organisator Pasquale Brandi und GOMU (GLOBAL Organization of Multi-Day Ultramarathoners) Botschafter  Yiannis Kouros schickten 43 Läufer in das 6 Tagesrennen, einem weiteren Wettbewerb des Italian Ultramarathon Festivals. Freudig begrüßten sich alte Weggefährten und neue Freundschaften bahnten sich an. Sehr schön!
Mittlerweile hatte sich der für mich passende Rhythmus, bezüglich Ruhezeit, eingependelt. Eine Schlafpause zwischen 60 und 120 Minuten zu Mittag und eine Weitere, von gleicher Dauer, kurz vor Mitternacht. Das reichte aus. Am Ende des sechsten Tages lagen 632 Kilometer hinter mir. Es lief wie geplant.
Doch dann nahm der sich bis dahin langsam anbahnende Druck in meinem linken Kniebeuger rasch zu. Eine pralle Schwellung hatte sich an der Sehne, zum Ansatz des hinteren Oberschenkelmuskels, gebildet. Salbe und Kniestrumpf linderten etwas den Schmerz. Worauf sich letzterer, wie zum Trotz, an anderer Stelle noch intensiver entfaltete. Nämlich an meiner rückseitigen Körperöffnung, dort hatte sich durch Reibung und Schweiß eine brennende Wunde gebildet. Und so salbte ich eben auch diese Stelle. Autsch. Düsentrieb bekam für mich eine völlig neue Bedeutung.
Große Bewunderung brachte ich für die Betagtesten unter unseren Ultralaufkollegen auf. In einem Alter, in dem die meisten Menschen ihre Sporen schon längst an die Wand gehängt hatten, erbrachten Edda Bauer, Ricardo Vidan und Aldo Maranzina noch unglaubliche Leistungen. Allen voran der 82-jährige Spanier Ricardo Vidan, der in 6 Tagen noch 444 Kilometer zurückzulegen imstande war. Nur wenige Kilometer dahinter folgten der 76-jährige Italiener Aldo Maranzina und die Deusche Edda Bauer (78J.). Ich verneigte mich vor ihnen, hatte Respekt davor wie sie dem Alter trotzten, nahm sie mir als Vorbilder.
KOIT - WOAM  (KALT -WARM)
Wunschträume über das Sein an der Mittelmeerküste zaubern oft Bilder mit wolkenlosem Himmel  über sonnenbestrahlte Sandstrände am blauen Meer, und von traumhaften Morgen-läufen nach lauen Nächten vor das geistige Auge. Manchmal lässt die Realität allerdings Träume platzen. Tagsüber pendelte die Temperatur, bei uns in Policoro, schon um die angenehme +20°C Marke, doch die Nächte wurden immer kühler. 
Schon am Morgen des 9. Lauftages kündigten die mit Neuschnee bedeckten Gipfel, nördlich unseres Aktionsradius an, dass mit einem Temperatursturz zu rechnen war. Und so geschah es. Spät Nachts, bei einem unterhaltsamen Gespräch unter uns Läufer, fiel die Bemerkung von "mediterranen Frostbeulen" als Reiseandenken. Tja, und in den frühen Morgenstunden war der Gefrierpunkt tatsächlich nicht mehr fern. Das Thermometer zeigte nur noch +3°C. Die gute Laune blieb mir dennoch erhalten, meine Freude über das bevorstehende Erreichen des selbst gesteckten Zieles beflügelte. Endlich... 9 Tage 17 Stunden und 57 Minuten nach dem Start zum 10 Tageslauf hatte ich 1000 Kilometer in den Beinen. Mein Name sollte künftig in der Weltrangliste aufscheinen in der sich die Wenigen reihen, welchen es bis dato gelang, 1000 Kilometer unter 10 Tagen im Laufschritt zurückzulegen. Dankbar genoss ich es physisch und psychisch in der Lage zu sein derartiges zu leisten. Hochstimmung! Freude!
Kurz danach breitete sich bleierne Müdigkeit in mir aus. Schwerfällig aber zufrieden trabte ich zu unserer Hütte, wälzte mich in den Schlafsack und gönnte mir eine zweistündige Pause.
In den finalen Laufstunden begleiteten mich Freude und Wehmut. Freude darüber schon bald länger rasten zu können und Wehmut weil die harten aber doch schönen Tage in Kürze vorbei waren. Ja, die Zeit schmolz dahin. Kaum zu glauben dass wir uns schon 10 Tage und Nächte nur auf diesem Rundkurs bewegten.
Nach dem Zielsignal standen 1026,19 Kilometer auf meinem Konto, damit erreichte ich den 5. Gesamtrang und den 2. Rang in meiner Altersklasse. Und kaum war das Zielsignal verklungen, siedelten sich in meinem Hinterkopf auch schon Pläne für die Teilnahme an einem noch längeren Bewerb, in naher Zukunft, an. Ja, ja, es ist eben eines meiner größten Talente erlebte Schmerzen zu verharmlosen und vorrangig schöne Stunden in Erinnerung zu behalten. Und eigentlich ist es gut so!

 

ZU GUTER LETZT:     Mit Ultralauflegende Yiannis Kouros und meinem Laufkameraden Andreas Michalitz in einem Café am Bari Airport.

Christian Stolovitz  2023   Bilder: Pasquale Brandi IUM-Festival, Andreas Michalitz, Matteo Tenchio, Christian Stolovitz                                                 Text: Christian Stolovitz

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